Tod - Leben / Daodejing Nr 50

Gefährten des Lebens - Gefährten des Todes

生之徒 十有三。
死之徒 十有三。
人之生,
動之於死地,
亦十有三。
夫何故﹖
以其生生之厚。
sheng zhi tu shi you san,
si zhi tu shi you san,
ren zhi sheng
dong zhi yu si di
yi shi you san.
fu he gu?
yi qi sheng sheng zhi hou.
Des Lebens Gefährten: von zehn sind drei
Des Todes Gefährten: von zehn sind drei
Menschen leben in Bewegung zum Todesort
ebenfalls von zehn sind drei
Diese schwierige Stelle wird sehr unterschiedlich gedeutet. Die Begleiter - 徒 tu werden einmal als Begleiter Begleiter, einmal Organe verstanden wie Lin Yutang den Text versteht. Dann wäre die Rede von Begleitern des Lebens und Begleitern des Todes oder von Organen des Lebens oder des Todes. Geldsetzer fasst die Stelle völlig anders auf, indem er von Lebend-Geborenen und von Tod-Geborenen spricht.
Nach der Deutung Geldsetzers wären aber die lebend Geborenen doppelt aufgezählt. Weil sie am Leben geblieben sind, bewegen sie sich nun hin zum Tod. sheng kann zwar auch als geboren werden verstanden werden, aber dann müßte auch die Rede sein von denen die 生 死 shen si - tot geboren sind. Es spricht aber eher einiges für die Deutung, dass es sich um "Gefährten" des Lebens und "Gefährten" des Todes handelt.
Sind es nun Drei von Zehn oder Dreizehn? 有三。 shi you san heißt wörtlich: Zehn Sein Drei. You - haben oder sein, das zwischen der Zehn und der Drei steht, kann unter Umständen auch als Addition gelesen werden: Zehn plus Drei. Aber was sind die Dreizehn? Lin Yutang interpretiert die dreizehn Begleiter des Lebens und die dreizehn Begleiter des Todes als Organe des Lebens und Organe des Todes. Aber was sollen die Organe des Todes sein. Und insgesamt 26 Organe? Nach der chinesischen Medizin gibt es fünf Organe. Eine solche Lesung und Interpretation erscheint eher unwahrscheinlich. Im Text des Daodejing ist offenbar von drei verschiedenen Gruppen die Rede: den Gefährten des Lebens, den Gefährten des Todes und von den Menschen, die sich lebend auf den Tod zu bewegen. Dann sind die Drei von Zehn jeweils ein Drittel. Die Gesamtheit der Menschen ist aufgeteilt in drei Drittel. Aber drei von zehn sind nicht genau ein Drittel. Die dreimal Drei von Zehn ergeben Neun. Und tatsächlich ist im zweiten Teil des Textes von einer weiteren Gruppe die Rede, nämlich von denjenigen, "die ihr Leben gut bewahren" oder "lebenskräftig" sind.

- Tu ist ein Begleiter, ein Diener oder ein Schüler und Adept. Die Gefährten des Lebens 生之徒 könnten auch Schüler des Lebens sein. Die Begleiter oder Schüler des Lebens sind drei von zehn. Könnte es sein, dass von drei verschiedenen Lebensabschnitten die Rede ist? Die Gefährten oder Schüler des Lebens wären dann diejenigen, die näher an der Geburt sind, die Gefährten des Todes diejenigen, deren Leben sich zum Ende neigt. Die mittlere Gruppe wären dann die Menschen in der Mitte ihres Lebens. 人之生 動之於死地 Während sie leben, bewegen sie sich in Richtung auf den Ort des Todes zu. Der Ort des Todes 死地 ist wörtlich: Tod Erde. Erde wird hier wohl als Stelle, als Punkt oder Ort verstanden. Am Schluss des Textes ist die Rede von den Menschen, die keinen Ort des Todes haben: 無死地 wu si di - Nicht Tod Ort.
Die Menschen, die im Leben stehen und - gerade darum - zum Todesort gehen, gehen deshalb zum Tode, weil sie: 生生之厚 sheng sheng zhi hou - leben üppig leben.
生厚 thick; thickness [2] deep friendship [3] [v] treat kindly; generous [4] substantial; greatly [5] kind; considerate; virtuous thick; heavy; rich; kind; cordial; brazen; shameless

死地 Todes - Ort
Was ist der Todesort oder der Todespunkt? Der Mensch, von dem im zweiten Teil die Rede ist scheint ein Unsterblicher zu sein. Weder Tiger noch Nashorn finden etwas, um ihre Klauen oder ihr Horn hineinzuschlagen, weil diese Menschen keine "Stellen des Todes" haben. Handelt es sich bei den Stellen des Todes um die tödlichen Punkte, die in den Kampfkünsten bekannt sind? Trifft man den Gegner an diesen Stellen, so sind die Schläge tödlich. Das Wissen um die tödlichen Stellen wird in den Kampfkünsten als Geheimwissen vom Lehrer an den Schüler weitergegeben. Die Shaolin - Mönche festigen ihre Todespunkte, indem sie die Lebensenergie, das Ki dorthin schicken, um die Punkte unverletztbar zu machen. Bei den Vorführungen der Shaolin kann man beobachten, wie die Mönchen Eisenstange auf ihre Schädeldecke schlagen und Speerspitzen oder Dolche in die Kehle oder die Bauchdecke bohren ohne verletzt zu werden. Auch in der traditionellen indischen Medizin kennt man solche Todesstellen, die Marmas. Die Marmas sind die Stellen, an denen der Tod - mrm - eindringen kann. Zugleich sind diese Punkte auch Vitalpunkte, ihr Zustand entscheidet, ob sich das Leben im Körper voll entfalten kann oder ob der Lebensfluß gestört ist. Aber die Kampftechniken sind sehr viel später als das Daodejing entstanden und es ist fraglich, ob 死地 die tödlichen Stellen im Körper meint. Im modernen Chinesisch ist es der Ort der Toten. Ein moderner Horrorfilm hat den Titel 死地 - Land der Toten. Dies ist kein Land mit Grenzen und einem Herrscher, das von anderen Ländern abgegrenzt wäre. Dieses Land oder dieser Ort kann überall sein. 無死地 wu si di - Nicht Tod Ort kann gelesen werden, dass es für die besonderen Menschen keinen Todesort gibt oder dass Ihnen das NICHT der Todesort ist. Sie sind nicht auf die Erhaltung des Lebens ausgerichtet, indem sie ständig Gesundheitsvorsorge treffen oder ihre Todesstellen härten und verschließen. Sie sind ausgerichtet auf das NICHT. Der Tiger oder das Nashorn bzw. der Büffel finden deshalb keine Stelle für ihre Krallen oder ihre Hörner, weil diese besonderen Menschen, wenn sie auf dem Land unterwegs sind, überhaupt keinem Tiger und keinem Nashorn begegnen. Selbst wenn sie auf dem Schlachtfeld kämpfen. begegnen ihnen keine Spitzen der Waffen. Sie sind einfach nicht dort, wo die Waffen auftreffen. Wer ständig in Sorge um sein Leben bemüht ist, jede Gefahr zu vermeiden und die Gesundheit zu erhalten, der tut zuviel zum Erhalt des Lebens. Gerade darum trifft ihn die Gefahr unversehens mitten im Leben. Im Kapitel 6.6 des Zhuangzi unterhalten sich die drei Meister Sang-hu, Meng-tzu Fan und Chin-chang:

Wer kann sich Vereinigen im Nicht-Vereinigen, Tun im Nicht-Tun? Wer kann zum Himmel aufsteigen und im Nebel wandern, geschmeidig ringen in Nicht-Dualität, gemeinsam das Leben vergessen, NICHT betroffen vom Ort des Endes?

Der Ort des Endes ist der Tod und seine Umstände. Die Meister vergessen das Leben und sind nicht betroffen vom Ende. Weil sich die drei Meister einig sind, dass jeder von ihnen zum Himmel aufsteigen und in der Nicht-Dualität ringen kann, werden sich Freunde. Die Aufzählung ihrer Fähigkeiten klingt nach den mythischen Unsterblichen, die sich zum Himmel aufschwingen und auf den Wolken reiten. Aber überraschenderweise berichtet Zhuangzi, dass der Meister Sang-hu ganz überraschend stirbt ohne dass irgend etwas besonderes geschehen war. Offenbar ist die Unsterblichkeit der Meister nicht von der Art, dass der Tod nicht eintritt. Meister Sang-Hu stirbt offenbar ganz einfach ohne jedes besondere Vorkommnis. Weder hat ihm ein Tiger mit seinen Krallen getötet noch hat ihn ein Büffel oder ein Nashorn mit dem Horn durchbohrt. Er ist auch nicht durch Waffen auf dem Schlachtfeld durchbohrt worden. Vermutlich war er einfach nur alt geworden.
Ebenso unkonventionell und unbekümmert wie sie gelebt haben, betrauern die beiden anderen Meister den Tod das Sang-Hu. Konfutse hatte einen Schüler geschickt, damit der am Begräbnis teilnahm. Aber empört hörte er, wie die beiden anderen Meister ganz entgegen den Vorschriften der Riten ein freches Lied sangen:

Oh, Sang Hu! Oh Sang-Hu!
Nun im früheren Wahren! Wir sind noch Menschen!

Der Schüler des Konfutse kehrt empört zu seinem Meister zurück und berichtet von diesem Verstoß gegen die konventionellen Formen. Aber Konfutse belehrt seinen Schüler, dass die beiden Meister außerhalb der räumlichen Welt wandern während er selbst innerhalb der räumlichen Welt wandert. Fisache gedeihen im Wasser, Menschen im Dao, im WEG. Wenn sich die Fische im Wasser befinden, vergessen sie das Wasser und sich selbst, wenn sich Menschen im Dao befinden, vergessen sie den Weg und sich selbst in den Künsten des Weges 人相忘乎道術.